Mathias Bothor – Bretagne
Bretagne. Hier, wo die Gezeiten gewaltig sind, die Häuser sich vor Stürmen ducken und am Horizont Amerika zu erahnen ist, beherrscht der Atlantik das Leben. Von Europa abgekehrt, vom Menschen kaum beeindruckt, öffnet sich die Bretagne der See. Bei keinem Ort ist daher das Meer näher, ist seine Macht, seine Größe, seine Bedeutung spürbarer – das Elementare. Die Reduzierung auf das Wesentliche trägt hier hinfort. Von all dem, was ablenkt. Der Blick in die Weite, zum Horizont: Hier wird bewusst, wie sich die Sichtweise der Europäer mit der Fähigkeit, den Atlantik zu besegeln, wandelte. An diesem Horizont manifestieren sich die Neugier und Entdeckerfreude der Europäer. Aber auch die Möglichkeit zur Flucht über den Ozean in die Freiheit vor Hunger und vor Verfolgung durch Kirche und Politik. Davor war nur die Ungewissheit gewesen, über das Sein jenseits des Blickfelds. Wie eng und ängstlich muss das europäische Bewusstsein bis vor nicht einmal 600 Jahren, dem Beginn der Entdeckungen, gewesen sein? Und wie groß dann entsprechend die Befreiung? Zu wissen, dass es auch im irdischen Jenseits weitergeht, Hoffnung und Zukunft bestehen. Hier, an den Ufern dieser westlichen Halbinsel Europas ist all das fassbar. Der Berliner Fotograf Mathias Bothor, renommiert für seine Porträts berühmter Zeitgenossen wie Angela Merkel, Robert de Niro oder Jodie Foster, bereiste für mare zehn Mal das Land unter dem weiten Himmel. Die Aufgabe war nicht leicht. Er sollte die Bewohner in seinem unverwechselbaren Stil in Schwarz-Weiß ablichten. Zugleich musste er sich in Farbbildern mit den Feldern, der Küste oder den Dörfern der Region auseinandersetzen. Doch mit immer intensiverem Zugang zur Bevölkerung gewann er deren Vertrauen und erreichte dadurch eine unerwartete Intensität in den Porträts. Auch der rauen Landschaft näherte er sich auf seinen Reisen immer mehr und erzeugte in seinen Bildern eine beinahe filmische Atmosphäre. Bei den Menschen wie auch der Landschaft ist spürbar, wie er ringt, um den eigenwilligen Charakter der Menschen Aremoricas und den Reiz der ungestümen Küste einzufangen. Bothor gelingt dies perfekt, immer entwickelt er einen ungewöhnlichen Blick. So wird Bekanntes neu entdeckt, und Klischees bleiben unerfüllt.
Nikolas Gelpke
mare Verlag